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Der Weg des Wassers als Weg der Weiblichkeit

In meinen Begegnungen mit Frauen erlebe ich so oft, wie sich viele durch ihren Zyklus quälen. Ich treffe Frauen, die aufgrund ihrer Erschöpfung als depressiv erklärt werden und denen angeboten wird, ihre wenigen Gefühle, die noch übrig geblieben sind, durch Medikamente zu betäuben. Ich treffe Frauen, die sich weigern, sich unterkriegen zu lassen. Solche, die am Tiefpunkt waren und doch wider erwarten der Ärzte und Therapeuten wieder aufgetaucht sind ins Leben.

 

Wie schaffen diese Frauen das?

 

Ich möchte meine Gedanken mit denen von Maitreyi D. Piontek verweben, denn diese Frau findet eingängliche Worte und Bilder für weibliches Wissen, das oftmals unter uns Frauen in Vergessenheit geraten ist: „Wie das Wasser immer in die Tiefe fließt, um im tiefsten Punkt zu ruhen und sich zu sammeln, so brauchst du (als Frau) Rückzug und Tiefe, um dich nach innen auszudehnen. Der weibliche Weg gleicht einer Tiefenexpedition. Denn alle weiblichen Schätze liegen im tiefsten Inneren verborgen.“

 

Aber was bedeutet „in die Tiefe abtauchen“?

 

Ich merke an mir selbst, dass ich unrund und erschöpft werde, wenn ich nicht regelmäßig in meine Tiefen abtauche. In die Tiefe abtauchen bedarf Ruhe und Stille. Ich muss allein sein, mit mir und meinen Gefühlen. Und hier ist wohl der springende Punkt. Es geht nicht darum Gedanken und Sorgen zu wälzen, sondern nach innen zu fühlen. Wie fühle ich mich gerade? Unrund, traurig, wütend oder ruhig. Kann mein Atmen frei fließen? Wo sind Blockaden oder Schmerzen?

Und dann gilt es nicht zu bewerten. Weg von „Ich darf nicht .... sein – das ist ja in meiner Situation gar nicht angemessen.“ Wer wagt es dir zu sagen, welches Gefühl hier und jetzt gerade in dir das richtige zu sein hat?!? Weg von vorschnellen Interpretationen, wer an meinem derzeitigen Zustand "schuld" ist. Einfach anerkennen und annehmen, was da ist. Jedes Gefühl ist gut.

In dem Moment, in dem du das Gefühl annimmst, kann es sich verändern. Dazu hilft es, dein Gefühl „in die Welt zu bringen“ – nur für dich auszusprechen, es niederzuschrieben oder mit vertrauensvollen Menschen teilen, die es ebenfalls nicht (be)werten.

 

Und – das soll es schon gewesen sein?!?

 

Wir erwarten ja ständig, dass Entwicklung anstrengend sein muss, denn sonst ist sie ja nicht wert. Ja, das ist der erste heilsame Schritt des weiblichen Weges. Das heißt nicht, dass das Zulassen von Gefühlen nicht auch schmerzhaft ist. Doch diese Schmerzen verheilen wie Wunden, die wir achtsam versorgen. Je früher wir uns Wunden widmen, desto leichter können sie heilen. Das gilt auf der körperlichen wie auf der seelischen Ebene.

Maitreyi D. Piontek vergleicht den Weg der weiblichen Entwicklung mit einer Schwangerschaft, in der vertrauensvoll darauf gewartet wird, dass sich neues Leben entwickelt – solange es eben dauert. Diesen Weg können uns männliche Vorbilder, an denen sich unsere Gesellschaft derzeit vorwiegend orientiert, nicht aufzeigen, denn ihre Aufgabe ist nicht jene, abzuwarten und neues Leben zu gebären.

 

„Vertrauen“ als der weibliche Weg

 

Aber wer vertraut, wird ausgenutzt! – meldet sich bei vielen von uns der Verstand. Wenn dies bei dir der Fall ist, denke ich erstmal in das Vertrauen in dich selbst. Das reicht für den Anfang und kann uns doch so schwer fallen.

Ich meine, der männliche Weg „Macht euch die Erde Untertan“, verhindert dieses Vertrauen. Ständig muss etwas verändert, verbessert und optimiert werden. Oft wird suggeriert: wer sich nicht aktiv daran beteiligt, ist ein Loser.

Maitreyi D. Piontek erklärt diesen männlichen Ansatz so: „Der Weg des Feuers ist der Weg in die Männlichkeit. Das Feuer lodert nach oben und sucht den höchsten Punkt.  ... Feuer ist extrovertiert und dehnt sich aus. Es ist aktiv, bewegt und intensiv.“

Wir Frauen können hier schwer mithalten, weil es nicht der Weg ist, der unserem Wesen entspricht. Doch kennen wir keinen anderen Weg, weil uns von allen Seiten eingeimpft wird, dass wir ebenfalls ständig in Bewegung, gesellig und strebend sein müssen. Das Wissen um den weiblichen Weg ging verloren. Es fehlen uns vorgelebte Alternativen, die uns zeigen, dass es einen anderen, ebenso guten Weg – und für uns Frauen noch zufriedenstellenderen Weg – gibt.

 

„Frauen müssen eigene Wege gehen, um sich zu heilen und eine eigene Identität und Individualität zu entwickeln.“ (Maitreyi D. Piontek)

 

Ich möchte noch einmal zum Gedanken der Tiefe zurückkehren. Maitreyi D. Piontek schreibt „Das Weibliche wird vom Wasser regiert, das Männliche vom Feuer. Das Wasser muss im Fluss sein, das Feuer unter Kontrolle. Weiblichkeit ist ein Seinszustand und keine Aktivität.“

Aha – da haben wir es wieder: keine Aktivität!?! Aber ich muss doch aktiv sein, sonst passiert....! – meldet sich sofort der Verstand. Ich muss doch die Kontrolle behalten, sonst...! Maitreyi D. Piontek meint dazu: „Aus Angst, sich oder etwas zu verlieren, versuchen sie (männlich gepolte Frauen) das Leben unter Kontrolle zu halten.“

 

Nur wenn wir die Kontrolle loslassen, können wir wie das Wasser in unsere Tiefen fließen.

 

Den Gedanken der Kontrolle ist wohl jener, den ich von erschöpften, traurigen, wütenden und unter PMS leidenden Frauen am meisten erfahre. Denn es ist so anstrengend ständig alles unter Kontrolle zu halten und in Wahrheit unmöglich. Ständig gelingt es uns doch nicht ganz. Das kann nur am Selbstbewusstsein kratzen und verringert das Vertrauen in unsere Fähigkeiten.

Aber ich will stark und kontrolliert wie das Feuer sein! – antworten dann viele Frauen.

 

Wer sagt denn, dass Feuer besser ist als Wasser?

 

Seht euch die Macht des Wassers an, das sich zielstrebig den Weg bahnt und als Hochwasser gerade wieder ungeahnte Kräfte zeigt. Feuer kann mit Wasser eingedämmt und gelöscht werden. Wasser muss angenommen und ihm neue Wege eröffnet werden! Im „Fluch das Karibik“ wird das Meer durch eine Frau symbolisiert, vor dem selbst die hartgesottensten Piraten Respekt haben, denn es ist unbezwingbar. Und wir wissen auch: ohne Wasser, kein Leben.

 

Es geht nicht um besser oder schlechter. Es geht darum die Verschiedenartigkeit und die Qualitäten anzuerkennen.

 

Maitreyi D. Piontek hat ein paar schöne Fragen zu Wasser und Feuer formuliert, die dich deine weiblichen und männlichen Anteile bewusster wahrnehmen lassen, wenn du das möchtest.

Ich setze mich mit solchen Fragen gerne abends mit einer angezündeten Kerze und meinem Tagebuch hin – das ist einer meiner Wege in meine Tiefen abzutauchen. Ich lasse Bilder und Gefühle zu den Fragen in mir aufsteigen, notiere sie, male sie oder betrachte sie einfach nur vor meinem geistigen Auge und erfahre viel über meinen momentanen Gefühlszustand.

 

„WER BIN ICH?

Reflektiere über deine Eigenschaften von Wasser und was diese Qualitäten für dich und deinen Alltag für eine Bedeutung haben:

Wie fühlt sich dein Wasser an, in welchem Zustand befindet es sich?

Kümmerst du dich um die Reinigung deines Wassers?

Was für Methoden zur Reinigung deines Wassers kennst du?

 

Und nun zu deinen Feueranteilen:

Wie ist dein Zugang zur Feuerqualität?

Was fällt dir leichter zu leben: deine Wasser- oder Feueranteile?

Kennst du Wege, deine Feueranteile und deine feurigen Lebensphasen auszugleichen?“ (Maitreyi D. Piontek)

 

Versteht mich nicht falsch: Ich denke nicht, dass wir Frauen nicht aktiv, bewegt und mit Höhenflügen leben sollen oder können. Doch ohne das vertrauensvolle Fließenlassen, um in der Tiefe anzukommen, um die Stille, Ruhe und Tiefe unseres Wassers immer wieder zu finden, geraten wir scheinbar schneller als Männer in einen Zustand des Ausgebranntseins und der Unzufriedenheit.

 

„Besonders aktive Frauen benötigen starke weibliche Wurzeln, damit sie sich durch ihre intensiven Höhenflüge nicht verlieren oder verbrennen.“ (Maitreyi D. Piontek)

 

Dem können wir entgegenwirken – auf unserem weiblichen Weg. Denn Frauen sind eben anders.

Vor einigen Jahren „durfte“ ich mich dem Alleinsein stellen. Damals sah ich es als angsteinflößend an und fühlte mich sehr einsam. Als ich mich der Ruhe und Stille stellte, schrieb ich folgendes Gedicht:

 

Allein sein

 

Allein sein

All eins sein

mit mir

mit meiner Welt

 

Allein sein

Alles eins sein

bis sich

Ruhe

einstellt

 

Diese innere Ruhe wünsche ich dir, um Kraft zu tanken und dein Leben nach deinen Vorstellungen zu gestalten und genießen zu können. Um dein Leben und deine Beziehungen lustvoll zu leben und neue weibliche Vorbilder für die kommenden Generationen zu erschaffen. Für mehr Zufriedenheit für uns alle.

 

Herzensgrüße,

Sigrid

 

PS: Wenn ihr euch mit eurer Weiblichkeit befassen wollt, lege ich euch das Buch „Weibliches Manifest“ von Maitreyi D. Piontek (Heyne Verlag) ans Herzen. Darin findet ihr neben den oben zitierten Fragen viele weitere Anregungen, um die Gegensätze von Weiblich und Männlich zu ergründen und somit eurer weiblichen Seite näher zu kommen.    

 

 

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